Die fünf Tage von Tritonus – Teil 3
20. April 2010
Halber Dienstag: Hornvergleich!
11.36 Uhr
Ba-boooommmm-mmmmm-mmmmm-ba-boooommmm. Ein butterweicher, bacherlwarmer Basston wummt durch die lichtdurchfluteten Flure des Tritonus. Vorne im Wohnküchen-Aufenthaltsraum sind die Fenster zum Hof offen und der anheimelnde Duft von sonnenwarmen, frisch gesaugten Teppichböden liegt in der Luft. Jörg und Ian sind schon am arbeiten. Jörg ergänzt Bassparts zum gestern aufgenommenen Basic Track von „Bring mich nach Hause“. Und schon erklingt auch wieder jene altbekannte Melodei – Jeans Piano-Motiv. Auch beim 638. Mal Hören nach einmal drüber Schlafen noch toll.
Bei Selig drüben ist die Stimmung schon top. Selig nehmen ja in einem Studio im selben Gebäudekomplex auf. Hinter den großen Fenstern auf der anderen Seite des Innenhofes sieht man langhaarige Menschen mit gereckten Fäusten herumtanzen. Was wird da gefeiert? Was für Killer-Tracks werden da eingetütet?
Unten im Hof flext einer. Mit einer Flex. Es ist laut. „Bloody annoying“, sagt Ian, ohne aber im geringsten sauer zu wirken, und macht die Tür zur Regie zu.
In der Regie sind die Stühle umgestellt und diverse Keyboards stehen und lehnen herum, die gestern noch nicht hier waren. Hier haben es sich Ian und Jean bequem gemacht gestern Nacht, kuschlig nah direkt neben der Bandmaschine. Die Produktion der kurzen Wege. Bis ein Uhr haben sie hier gearbeitet, Overdubs gemacht. Und zwar für den Song „Dumdididum“. Dumdididum? Nein: „Dumm die, die dumm“. Kapiert?
Judith kommentiert…..Ach, wie schade, jetzt machen wir hier neugierig (na, hoffentlich!) auf ein Lied, dass es dann am Ende gar nicht auf´s Album geschafft hat. Nicht dass das Ding nicht ein MÖRDER –HIT wäre. Aber irgendwie hatten wir am Ende alle das Gefühl, das ist eine Single, oder aber er gehört gar nicht auf´s Album. Logisch? Hmm. Für uns schon. Hat halt irgendwie nicht raufgepasst… Zu schmissig, zu „Old –School- Wir sind Helden“… irgendwie nicht ganz das, was wir jetzt gerade machen wollen. Wird aber sich irgendwann verwendet werden, und sei es als B –Seite.
11:58 Uhr
Ein weiterer Bass-Take. Ian ist zufrieden. Ian findet, dass der Bass ein bisschen klingt wie „halfway between a cello and a guitar“. Was offenbar gut ist. „It has this kind of strung out quality, that I really like. It’s good. It speaks.“ Ba-boooooommmmm, spricht der Bass.
12:08 Uhr
Die Sängerin betritt den Aufenthaltsbereich des Studios und hat ein Baby vor dem Bauch hängen.
12:09 Uhr
Der Keyboarder-Gitarrist kommt rein. Und lacht. Keiner weiß, warum. Er wirkt verwirrt.
Ihm folgt der Ex-Bassist, nunmehr Bassist –Gitarrist -Multiinstrumentalist, der sich sogleich sein Headset in die Ohren stöpselt und damit fortfährt, Vorhangschienen hinterherzutelefonieren („Vier Kilo ist doch NICHTS, das kann man doch an eine Plastikschiene dranhängen…“)
Jean erklärt seine Bereitschaft, die Gesellschaft im Aufenthaltsraum mit „ein paar Bluesriffs“ zu erfreuen und setzt diese sogleich in die Tat um. Wie nennt man das eigentlich, was er da gestern gespielt hat, für „Bring mich nach Hause“? Piano-Riff? Piano-Figur? Jean räumt ein, dass er mit der Nomenklatur von Musik – obwohl er es studiert hat – „ziemlich dünn besetzt“ ist, aber: „Ich würde am ehesten Motiv dazu sagen.“ Ein Pianomotiv also.
Judith und Babysitterin Isa mühen sich, den Kinderwagen von der Limousinen- in die Sportwagenform umzubauen, was wohl laut Beipackzettel wenige Handgriffe erfordern sollte, nun aber schon ziemlich viele Handgriffe gebraucht hat. Nun hantiert auch Mark am Wagen mit. Das Verdeck macht Sorgen. „Bist du sicher, dass das definitiv zu diesem Wagen gehört?“ – „Aber was soll die Schnalle hier? Man will doch dem Kind nicht die Füße festbinden?“
12:45 Uhr
Jean zeigt gerade Fotos von seinem Sohn (eine kleine sortierte Auswahl von 534 Stück) und vom La-Palma-Urlaub (226 Stück), da kommt Ian: „I’m ready for you, mate.“
Jean spielt Gitarren-Overdubs für „Bring mich nach Hause“ ein. Vor sich hat er ein Mikrophon stehen, das die perkussiv-drahtigen Schrubbgeräusche des Plektrums an den Saiten einfangen soll – die Ambience des Gitarrespielens quasi, den „attack“, wie das der Profi nennt. Das Mikro für die „attack“ ist so weit aufgerissen, dass Jean sich fast selbst betäubt, als er zwischen zwei Takes etwas zu Ian sagen will und ihm seine eigenen Worte um ein Vielfaches verstärkt durch die Kopfhörer in den Ohren dröhnen. Er versucht dann, gaaanz leise zu sprechen, kann aber nicht so leise, dass es nicht Ohrendröhnen verursachen würde. Die Situation ist sehr lustig, auf eine Slapstick-Art und hat – auch noch angesichts der Glasscheibe, hinter der der verkabelte Jean sitzt – etwas von einem wissenschaftlichen Experiment. Dann dämpft Ian ihm das Mikro und Jean kann frei sprechen. „Did you hear me breathe?“ Jean schlägt vor, ob man aus Ambience-Gründen an „some breathing stuff“ arbeiten wolle. Ian: „Feel free to breathe. Breathe like you mean it.“
13:00 Uhr
Drinnen in der Regie: Abhören der Overdubs von „Bring mich nach Hause“. Bei der Zeile „jede Zelle fluten“ hat Jean eine kleine gedehnte Gitarrennote platziert, die ein bisschen wie eine miauende Katze klingt und Heiterkeit hervorruft. Ian: „Sounds like George Harrison walked into the room.“
Jean und Ian diskutieren, wie es weitergehen soll mit dem Song. „Vielleicht tun wir als Nächstes die Bläser drauf und schauen, wo uns das hinführt.“
13:14 Uhr
Mark hat seinen ja schon an, Ian bittet Jean, doch auch seinen Laptop einzuschalten. Jetzt geht’s daran, passende Bläsersounds zu suchen auf den Festplatten von Mark und Jean. Musiker haben auf ihren Festplatten nicht nur Fotos, Games, Filmchen, Texte und Musikdateien wie unsereins, sondern Sounds. Oho.
Jean ist erfreut: „Ah, you’re starting the sound competition now?“
Ian: „Yeah. It’s a horn-off.“
Keyboards raus, Hornvergleich.
Man richtet sich im Regieraum ein. Ian mit gezücktem Bleistift und Block an den Reglern, Mark und Jean mit ihren Master-Keyboards vor und ihren Laptops auf umgedrehten Mineralwasserkästen neben sich. Mark klagt: „Ich soll einen Sound spielen, auf den ich sowieso nicht so stehe. Weil Ian ihn haben wollte.“ Er meint die schwindlige Tröte von gestern. Um deren Cheesyness zu demonstrieren, gniedelt Mark in stummem Protest immer wieder mal die fluffigen Intro-Akkorde von „If You Leave Me Now“ von Chicago. Es ist in der Tat genau der Sound dieses softpoppigen Schmachtfetzens.
Die Stimmung ist aufgekratzt -albern. Diskussion erfolgt etwas unentschlossen auf Englisch und Deutsch, dann bringt Mark noch Französisch und Russisch (?) ins Spiel. Na, wenn’s die Produktion weiterbringt…
Ian stellt klar: Erstmal die Sounds vergleichen, aufgenommen wird zunächst mal noch gar nichts.
Jean: „Oh. Jetzt werden hier aber die harten Bandagen aufgezogen.“
Mark: „Voll die Masterkeyboard -Schrottcompetition!“
Mark und Jean spielen nun also mit ihren jeweiligen „Master Keyboards“ Bläsersounds, die sie auf ihren Festplatten haben.
French horn? Waldhorn? Ian: „I’m not sure. Sounds a bit strong to me.“
Mark würde gern den Sound einer Oboe ausprobieren, „what’s the word in English? What’s Oboe in English?“
Ian: „Oboe.“
Oboe?
Obo?
Auf dem Wort wird herumgejammt.
Oböe?
Öböe?
Jean kramt in seinem Programm nach einer Oboe. „Nöööööl“, macht es.
Mark: „That’s not a nice oboe. There are nicer oboes.“
Obo.
Obö.
Jetzt hat Mark eine schöne Oboe gefunden.
Abö.
Oboe.
Ian bemerkt die engagierte Feurigkeit, mit der Jean in den Trötensound-Wettbewerb geht.
Ian: „You’re quite competitive, aren’t you?“
Mark: „Jean and his wife come from the same village, and EVERYONE there is competitive.“
Es wird nicht nur herausgefunden, welche Sounds am besten passen, es werden auch bereits die Parts selber ausgearbeitet. Und wo sich eine Note oder ein Melodielauf unter Umständen mit dem Piano-Motiv doppelt (was zu vermeiden wäre).
Oder vielleicht kommt der ganze Bläserpart schon einen Turn-Around zu früh?, gibt Mark zu bedenken. Einen wat?
13:45 Uhr
Ian meint, jetzt sei man schon recht nah dran. Jean und Mark orgeln die Bläserparts konzentriert zusammen über den Basic Track.
Ian macht einen Vorschlag, wie die Harmonie/Melodie von Jeans Keyboard-Linie verlaufen könnte. „If you hold the first note and don’t play the second high one. You lose the second note by holding the first note instead.“
Jean: „Hä? I don’t get it, please sing it for me.“
Ian singt vor, was er meint.
Also noch ein Versuch. Mark vergewissert sich: „I come in on the build?“ Der „build“ ist die Stelle, an der sich im Übergang von der Strophe zum Refrain der Refrain aufbaut.
13:58 Uhr
Ian: „Should we try one more for luck?“
Mark: „Yeah. Maybe a bit funkier. Groovier. Punchier.“
Ian: „I don’t want any of that. We want wechmutig. Wächmutig. Sensuchtig.“
Jean: „Sexsüchtig?“
Ian: „Wähmootig. Wehmutig. Sennsuchtig.“
Erhellender Dialog XVII:
Ian: „Up or down?“
Mark: „Hä? Up. The only way is up. But what does that mean for our production?“
Ian: „Let’s do one for luck. Chose up or down.“
14:04 Uhr
Nächste Strophe.
Ian: „Let’s see what happens, shall we? Room for subtle development.“
Vielleicht den Teil hier zweimal und dann der build? Man steckt nicht drin.
14:12 Uhr
Draußen in der Küche fragen Jörg und Judith den Protokollanten, wie weit „die da drin“ wohl schon seien mit ihren Keyboards? Wie es sich für mich darstelle? Leute, das kann ich leider nicht beurteilen. Das kann in vier Minuten im Kasten sein und Ian sagt „nailed“, oder es geht noch vier Stunden.
14:15 Uhr
Noch immer wird am Trötenkeyboardpart gearbeitet.
Ian: „It’s close. A little too static.“
Noch ein Versuch.
Ian: „Almost.“
Mark schlägt vor, an dieser auch lyrisch sehr dunklen Stelle – „after „.. mich dann vor meine Tür zu legen’“ – einen tieferen Ton zu setzen, der sonst noch nicht verwendet worden ist. Versuch. Es klingt gut.
Ian: „I quite like that actually. Wenn es den Text unterstützt …“
Mark übersetzt kurz grob den Text an dieser Stelle: „The lyrics are: You can lay my body in front of my door and there I can lose all my blood.’“
Ian: „Oh. Is that a German custom?“
Mark hat Ian seinen Wunsch für die Phrasierung der Trötentöne von den Lippen abgelesen und erklärt Jean: „Den hier, ‚da-dam-daa-da’ wollte er haben, aber dann kein ‚da’ mehr danach.“ Aha.
Das mit der tieferen Stelle funktioniert und gefällt. Mark sagt, jetzt fühle es sich so an, als hätte das Instrument an jeder Stelle was zu sagen und füllt nicht nur Räume.
14:37 Uhr
Ian: „Good. Good for me. It’s done.“
Erstaunlich, wie ein Sound wie z.B. „Combined Brass“ von M-Tron, der isoliert und allein ziemlich kacke käsig klingt, im Arrangement eines Songs mit dem Ensemble der anderen Instrumenten auf einmal ganz anders wirkt, etwas ganz anderes macht.
14:46 Uhr
Ende eines weiteren Takes.
Ian: „Yeah. Yeah. Does exactly what it needs to do. Done.“
Jean: „Done. Done.“
Und die Oboe? The oboe? Braucht man die jetzt noch? Jetzt wird wieder über Oboen und Oboenklänge gequatscht. Und wie immer, wenn irgendwo im Pop-Zusammenhang über Oboen gequatscht wird, kommt die Rede auf die britische Singer -Songwriterin Tanita Tikaram und ihren großen Hit, den unverwüstlichen Oboen-Referenzpopsong „Twist In My Sobriety“ von 1988.
Und jetzt kommt’s raus: Ian kannte Tanita Tikaram. Ian und Tanita Tikaram kommen aus der gleichen Stadt, Basingstoke, „a shitty little new town in the south of England“ (Ian). Und Ians einstige Band, deren Namen er ungern rausrückt und die „like the Monkees“ zusammen in einem Haus wohnte und in der Gegend ein gewisses Ansehen hatte, verschaffte der jungen, unbekannten Sängerin einst ihren ersten Auftritt, im Vorprogramm. „She was a pretentious student“, schmunzelt Ian, „VERY pretentious.“ Und dann, sechs Monate später, wohnte Ians Band immer noch in dem Haus und spielte Gigs in und um Basingstoke, und Tanika Tikaram ging voll hitraketenmäßig durch die Decke, erst mit „Good Tradition“, dann mit dem eternal oboe reference track „Twist In My Sobriety“. Und jetzt wird erst mal was gegessen.
Fortsetzung folgt …
Lesen Sie – auch, wenn Sie es lieber hören würden – ab nächsten Freitag, wie Judith Holofernes die zu Herzen gehende „Ballade von Wolfgang und Brigitte“ singt, wie Ian Davenport sich als Ganzkörperdirigent profiliert, was es mit der „küke line“ auf sich hat und ob müde Babys im Studio den Rock’n’Roll voranbringen
(Wetten werden nicht entgegengenommen).
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