Die fünf Tage von Tritonus – Teil 8

22. April 2010
Noch ein halber Donnerstag: If you start focussing on the banjo, you’re lost.
15:35 Uhr
MITTAGSPAUSE
Quick lunch. Schnelle Suppen beim Asiaten für Judith, Ian und den Protokollanten.
Ian erzählt, wie er bei den Geburten seiner beiden Kinder ge-DJ-t hat. Was gut machbar war, weil sie in beiden Fällen vorher wussten, dass es ein Kaiserschnitt werden würde und so ein gewisser berechenbarer Zeitrahmen gegeben war. Seine Tochter kam mit „Wichita Lineman“ auf die Welt. Das erst, was dieses Kind in der Welt hörte, war der alte Edelcowboy Glen Campbell.

Jean kommt dazu, gerade von zu Hause angereist. Vormittags noch in Hannover beim Babyschwimmen, jetzt in Berlin beim Rockplatte-Aufnehmen. „Tja, das sind meine zwei Leben“, sagt Jean mit bescheidener Geste und erklärt, dass es für einen Rockstar wie ihn einfach wichtig sei, zwischendurch ein wenig Erdung zu bekommen. Und dann düst er nach Hannover, schnappt sich seinen Sohn und geht Babyschwimmen.

Beim Raufgehen in den dritten Stock tut ihm das Knie ein bisschen weh. Vielleicht hätte er’s beim Babyschwimmen etwas ruhiger angehen und seinen Sohn auch mal gewinnen lassen sollen. Aber das ist einfach das kompetitive Gen von Jean, ohne das, das muss man auch sehen, heute nicht da wäre, wo er ist.

16:23 Uhr

Zurück im Studio.

Jean erkundigt sich nach dem Fortkommen mit „Dumm die, die dmm“

Jean: „And did you put in the sweet melody?“
Judith: „Ja, aber nur ein bisschen.“

Pola läuft mit Friedrich ein.

Diskussion: War die Rote Karte gegen Ribery im Champions-Leageu Halbfinale Bayern-Lyon gestern Abend gerechtfertigt? Jean meint, der Ribery dürfe das doch. Pola meint, nein, der Schiedsrichter habe so direkt danebengestanden, dass man ihm schon vertrauen müsse und dass der die Situation schon gut einschätzte. Na von mir aus.

Pola Roy hat heute nach eigenem Bekunden – schreiben Sie das auf, bitte – einen Studiokollertag. „Ich möchte den anderen Musikern heute Gewalt antun.“ So Ribery-mäßig? „So Ribery-mäßig.“

16:55 Uhr

Jean spielt ein zusätzliches oder neues (das wird gerade nicht so klar) Keyboard für „Was uns beiden gehört“ ein. Ian und Jean sitzen in der Regie, weil die Keyboards ja direkt ins Mischpult gespielt werden, brauchts dazu keinen Aufnahmeraum und keine Mikros und Kopfhörer, sondern es wird zum voll im Raum tönenden Song statt zum Kopfhörer gespielt.

Vergnüglich mit anzusehen. Jean vollkonzentriert, mit geschlossenen Augen und The Flinkfinger, wirft kleine Sprengsel ein, ein twideldi hie, ein twideldidldum da, einen Take lang.

Jean bietet Ian zwei Möglichkeiten für eine Keyboard-Melodiewendung an, spielt sie vor, und endlich mal reagiert Superohr Ian menschlich und sagt, dass er das jetzt so isoliert nicht beurteilen kann: „I don’t know. Let’s see how it works in context.“

17:09 Uhr

„Done“, sagt Ian.

Jetzt geht’s ans Banjo ran von „Was uns beiden gehört“.

Jean gniedelt Banjo auf dem Keyboard. Er wird jetzt unter das bereits aufgenommene echte Banjo noch ein Synthesizer-Banjo-Gschmäckle legen. Er gniedelt auf dem Keyboard herum, findet das Soundfile, und ja, und es ist originaler Banjo-Sound. Es hat ein kleines Delay drauf, also einen leichten Halleffekt, der ihm mehr Schmiss verleiht. Das Laienohr nimmt nur den Schmiss wahr, nicht den Effekt, der dahintersteckt.

Ian: „Is that my slap on it?“

Dein was?

„My slap delay“, erklärt Ian und zeigt ein hellgrünes Kästchen, so groß wie eine Pralinenschachtel, das auf dem Mischpult liegt. Ein Slap Delay ist ein sehr beliebtes Effektgerät, das einen kurzen, trockenen Nachhall setzt. Ian ist ein erklärter Freund des Slap Delay, sein Danelectro „Reel Echo“, das er auf alle Spuren separat drauflegen kann, hat schon manchen Track „to live“ gebracht. Er demonstriert den Effekt, den das Ding hat, wenn es auf dem Schlagzeugtrack von „Was uns allen gehört“ liegt. Point taken. Slap delay.

Jean: „You put a slap on everything.“
Ian: „Yep. It’s the Davenport way.“

Hilft das dem Banjo weiter? Das Live-Banjo mit dem künstlichen Banjo zu unterlegen? Ian sagt, er ziehe auch das echte Banjo vor, aber eine sozusagen würzende Schicht Synth-Banjor darunter gibt dem Sound mehr Durchschlagskraft.

17:17 Uhr

Mehr Keyboard-Ministellen für „Was uns beiden gehört“. Es geht um einen kleine aufsteigende Tonfolge, die auf den Refrain hinführt.  Ian ist zufrieden: „It definitely sounds like there’s a chorus coming.“

„Use it as a vamp“, sagt Ian. Benutze es als Vampir? Nein, ein Vamp ist eine sich wiederholende musikalische Figur. Der Ausdruck kommt aus dem Jazz. Und da ist er hier bei den Helden doch genau richtig.

Für das nächste Mal, wenn sie sich um diesen Song kümmern, hat Jean noch ein paar „synth ideas“, kündigt er an, aber die sprengen jetzt das Zeitbudget für heute Nachmittag.

The double track
The double track comes in on the chorus
Because Ian took the double track off the verse
Wat?

17:42 Uhr

„Cool“, sagt Jean.

„Was uns beiden gehört“ ist jetzt erst mal so weit fertig. Es fehlen jetzt nur noch „die Russen“, jene von Judith so genannten Background-Männerchöre, die bislang offenbar nur als Idee bzw. Demo existieren und den Song nach allem, was man hier raunen hört, noch mal auf ein whole new level heben werden oder wie oder was.

Jean geht jetzt einen „gypsy“ machen. Wie bitte? Ganz am Anfang der Produktion kriegte Ian Jean mal dran mit der Ansage: „Come on, Jean, play the Joanna.“ Woraufhin Jean nicht wusste, was Ian da redet. Und lernte: „Joanna“ ist internationaler (angloamerikanischer) Studioslang für „Piano“. Kommt vom Cockney English, was ein „rhyming slang“ ist, das heißt: die Slangausdrücke für Sachen sind da Wörter, die sich auf die Bezeichnung für die jeweilige Sache reimen. Ein „Piano“ ist auf Cockney „Aunt Joanna“, verkürzt zu „Joanna“. Was sich in die Musikersprache eingehakt hat. Über Nacht machte sich Jean im Internet ein bisschen schlau und konterte tags drauf mit der Ansage „I’m gonna have a gypsy.“ Weil gypsy kiss anscheinend piss heißt.

17:49 Uhr

Pola und Jean sitzen mit Ian zusammen und hören jetzt einzelne Spuren des Anfangs von – wie passend – „Alles auf Anfang“ durch. Akkordeon, Banjo & Schlagzeug. Zwei verschiedene Versionen, zwischen denen jetzt gewählt werden muss.

„was dich runterzieht
sind deine schweren Arme“

Pola vermeint, feine Unregelmäßigkeiten in der Banjospur herauszuhören, aber Ian wiegelt ab. Die müsse man hinnehmen. „If you start focussing on the banjo, you’re lost, man. You’re lost. Even on great Bowie recordings“, sagt Ian, gäb’s Sachen und Passagen, wenn man sich auf die konzentriert, findet man plötzlich Fehler.  Pola gibt dem Protokollanten einen Fingerzeig: „Hast du gehört, er hat uns gerade mit Bowie verglichen!“ Hm. Hat er nicht eher unterschieden zwischen ‚great Bowie records’ und Euch?

Das Banjo ist jedenfalls nicht ausschließlich perfekt. Aber den Banjo-Track hat Ian Jean ja seinerzeit noch spät nachts abgerungen, am Ende eines langen Tages, als Jean schon ziemlich müde war, insofern, ist man sich einig, wäre es jetzt unfair, auf dem Banjo rumzuhacken.

18:01 Uhr

Beratung über irgendeinen irgendwie schwerwiegenden Punkt, der was mit dem Groove des Songs und der Rolle des Banjos darin zu tun hat. Der Prokollant versucht, dahinterzukommen, von was die da reden. Aber hey.

18:06 Uhr

Ian: „Okay, so now we’re gonna cut Judith.“

Huch.

Das heißt aber nur, dass Judith jetzt wieder dran ist mit Vocals-Aufnahmen. Die wird jetzt wieder mitgeschnitten.

18.30 Uhr

Alle momentan verfügbaren Typen – das beschränkt sich auf Pola, Jean und den Protokollanten – werden in den Aufnahmeraum beordert: „fünf vor zwölf“, bzw. „wir sagen Fünf vor zwölf!“ brüllen. Oder weniger brüllen, eher so rufen. Blöken. Krähen. Yellen. Hollern. So in der Art. Was soll man sagen: Es funktioniert wunderbar, eine top performance. Vielleicht ein Highlight des ganzen Albums. Aber das sollen andere beurteilen.

Jean erleidet beim Soundcheck mit dem Kopfhörer beinahe einen Hörschaden. Sein Schmerzensschrei ist auf ProTools festgehalten. Mal sehen, wo und wie man ihn als Soundeffekt verwenden kann.

„fünf vor zwölf“
„vier vor zwölf“
„drei vor zwölf“
„zwei – eins – auf die zwölf“

Während der – wirklich grandios laufenden – Session kommt Danny Engel dazu, kriegt auch gleich einen Kopfhörer drauf und muss yellen. Danach muss Judith ran und auch noch ein paar mal „fünf vor zwölf“ shouten.

18:59 Uhr

Pause, während Ian comped und schnibbelt.

Jean hat den Laptop auf.
„Manchmal sitz ich vorm Internet und weiß gar nicht, wieso.“
Tja. Denk mal drüber nach.

19:05 Uhr

Eine Setlist will erstellt werden. In zwei Stunden kommt der Plattenfirmenmann und soll Songs vorgespielt bekommen. Steigt die Nervosität? Judith hat ja heute Mittag unverschämterweise eingeräumt, dass sie gar nicht aufgeregt ist. Was erlaube? Aber sie hat schon Recht: Wenn, dann soll der Plattenfirmenmann aufgeregt sein.

19:21 Uhr

Die harten Realitäten des Lebens, Teil 3425.

Pola wechselt Friedrich die Windel. Der agiert mittelbegeistert.
Pola: „Du magst die Windeln nicht mehr so, was?“
Friedrich: „Ich mag das Wechseln nicht.“
Pola: „Ach so. Hm. Das ist aber windelimmanent.“

19:25 Uhr

Danny setzt mal kurz ein Schöckchen, was das bevorstehende „Show & Tell“-Playback am Abend angeht.

Danny: „Was ich noch nicht erwähnt hab, sind die Meet &Greet-Gewinner.“

Kurzes Schrecksschweigen, dann Gelächter. Witz gemacht.

Danny: „Ja, noch lacht ihr! Aber kurz war’s still geworden.“

19:29 Uhr

Das Lied ist „hook-laden“. Viele Hooks und Mikro-Hooks.

Judith: „Die meisten davon kommen von Jean.“

Sie nennen ihn nicht umsonst den Hookmaster. Das ist aber auch nicht ungefährlich. Ein Hook, der vor dem Refrain, ist so catchy, dass Judith darüber bisweilen ihren Einsatz vergisst. Eine tickende Zeitbombe, im Song platziert vom Hookmaster himself! Der Tanz auf dem Vulkan, das Spiel mit dem Feuer! Weiß er, was er da tut?

19.32 Uhr

Ian kommt rein, Judith macht gerade die Setlist.

Judith: „Wie ist denn der Stand von „Alles“?“
Ian: „I’v mixed it. It’s kinda rockin, but it’s cool.“
Judith: „Rockin BUT cool?“
Ian: „Well. I’ve tried to make it sound as little Coldplay as possible.“

19:40 Uhr

Vorbereitungen laufen. Es kommt so weit, dass Jean – JEAN! – sich dazu herablässt, Geschirr zu spülen. Persönlich! Natürlich spielt der Großmütige die Sache herunter; er macht’s ja gern, wegen der Erdung eben. We call it slumming.

Heiße bzw. tiefgehende bzw. akribische Diskussion darüber, in welcher Reihenfolge jetzt die ausgewählten Songs vorgespielt werden. Womit fängt man strategisch klug an? Mit „Alles“, dem Song, der noch am ehesten wie „alte Wir Sind helden“ klingt? Worauf Mark einwendet, warum dieser Song eigentlich der sein soll, der nach „alte Wir sind Helden“ klingt. Und wenn ja, warum mit ihm anfangen? Und wenn nein, warum nicht? Täuscht man erst an mit „altem Sound“ und haut dann die Überraschungen raus? Oder überrascht man gleich mit dem ersten Song? … Es ist eine fast schon tiefenpsychologische Geschichte.

19:50 Uhr

Walter Holzbaur vom Wintrup Musikverlag, home of Wir Sind Helden, läuft ein.

19:55 Uhr

Danny geht mit der Band noch ein paar organisatorische Sachen für später im Jahr durch und informiert über erste Planungen der Tour im Herbst.

Danny: „Der Hauptkörper der Tour bewegt sich bei derzeitiger Planung zwischen 15.10 bis 3.11.“
Jean: „3.11. kann ich nicht.“ (Spässle g’macht)
Danny: „Das Venue in Berlin heißt jetzt C-Halle, nicht mehr Columbiahalle, warum auch immer.“
Judith: „Das klingt ja scheiße.“ (allerdings)

20:14 Uhr

Ah, jetzt. Vorspiel der nunmehr in der engeren Wahl stehenden Songs mit Walter als quasi Generalprobe-Publikum. Ein wenig feierlich. Gedämpftes Licht in der Regie, die gröberen Mengen Keyboards wurden rausgeräumt und Stühle in Reihen vors Mischpult gestellt. Wir hören.

„Was uns beiden gehört“
„Die Ballade von Wolfgang und Brigitte“
„Bring mich nach Hause“
„Alles“
„Dramatika“
„Alles auf Anfang“
„Lonely Planet Germany“
„Dumm die, die dumm“
„Nichts was wir tun könnten“

Nach der Generalprobe seilt sich der Protokollant grenzkonspirativ aus dem Studio ab. Jeden Moment kommt jetzt der Vertreter der neuen Plattenfirma der Band zum allerersten zarten Musikhör-Rendezvous. Da sollen die jungen Turteltauben von den Medien ungestört bleiben.

Fortsetzung folgt …
Seien Sie auch nächstes Mal wieder dabei und werden Sie Zeuge, wie in schweißtreibender Handarbeit ein 1a-Indie-Gitarrengedengel sounddesignt wird, Jean-Michel Tourette ein Hüllkurven-Diagramm analysiert („I think where the wurst is getting bigger, that’s the chorus“) und Mark Tavassol die Einhaltung eines Mindestmaßes an Ordnungshalten im Studio anregt: „Es wäre gut, wenn wir die ganz krassen, unnötigen Schlampereien vermeiden könnten.“